Sehr geehrter Herr Bomm,
geschätzter Herr Baßmann,
meine sehr geehrten Damen und Herren,


ich bin hier geladen, um über das künstlerische Schaffen von Hellmut G. Bomm im Allgemeinen und über diese Ausstellung im Besonderen zu sprechen und ich empfinde dies als einen höchst ehrenvollen Auftrag. Diese »Einführung« soll keine Laudatio werden, denn dieses schöne lateinische Wort heißt ja wohl Rühmen, Preisen, Hervorheben, zuweilen sogar übertreiben. Ich werde einen Teufel tun - und Bomm weiß das auch. Denn nichts ist unangenehmer für einen Künstler, Grafikdesigner und/oder Buchautoren und das ihm ohnehin wohl gesonnene Publikum, als wenn sie erleben müssen, wie die Resultate eines keineswegs immer leichten, faktisch mit inneren Zerreißproben angereicherten Schaffensprozesses vom klebrigen Zuckerguss eines Laudators zugedeckt und ungenießbar gemacht werden.

Mir geht es an dieser Stelle vielmehr um Hintergründe, die vielleicht dazu geeignet sind, das ein wenig besser einordnen zu können, was wir hier sehen. Und jetzt könnte man einwerfen, dass selbst dieses entbehrlich ist, da doch Bomms künstlerisches oder graphisches Werk als überwiegend realistisch bezeichnet werden kann und die Betrachter für das doch Offenkundige und für alle Sichtbare nicht sensibilisiert werden müssen.
Ich denke, dass wir jedoch diesem weit verbreiteten Klischee entgegen treten sollten. Und das ist eben die Meinung, dass jeder doch Augen im Kopf habe und also die ihn, die uns umgebende Realität mit der bildlichen Wiedergabe vergleichen könne, um danach ein Urteil über das künstlerische Gelingen oder Misslingen abzugeben. Kritik könnte bei dieser Betrachtungsweise namentlich an Abweichungen von der Natur geübt werden - an den Größenverhältnissen der Dinge zueinander, der Farb- und Schattengebung, der räumlichen Disposition usw. - also daran, dass der Künstler die Wirklichkeit der Dinge nicht gut genug nachgeahmt hat. Wir alle wissen - und das ist der wichtigste Einwand gegen diesen Vergleich zwischen der Natur und der Kunst - dass das denkende Auge des realistischen Künstlers durchaus anders funktioniert als die optisch neutrale Linse eines Fotoapparates und dass folglich auch die im einen Fall quasi automatisch, im anderen geistig-emotional hervorgebrachten Bilder unterschiedlich sein und von einander abweichen müssen.


Der Künstler wählt aus seiner und unserer Lebensrealität ein Objekt aus und macht dieses zum Bildmotiv. Dabei verliert dieses Objekt seine reale Funktion, seine Benutzbarkeit. Die Wiedergabe im Bild verleiht ihm jedoch neue, zusätzliche Dimensionen und Funktionen und diese sind eben ästhetischer und geistig-emotionaler Art. Der Romantiker Caspar David Friedrich hat aus diesem geistigen, seelischen Mehrwert, den jedes Bild besitzen müsse, die Berechtigung der Malerei überhaupt abgeleitet. Er schrieb: »Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch das, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch (ab)zumalen, was er vor sich sieht«. Und noch etwas knapper hat dies Paul Klee gesagt: »Kunst gibt nicht Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar«.


In aller realistischen Kunst, die diesen Namen verdient, geht es genau um diesen Aspekt: nämlich durch die Auswahl, Wiedergabe und Komposition realer Objekte eigene Gedanken und Gefühle sichtbar und dem Betrachter auf dem Wege der Assoziation, also der kreisenden Gedanken, verständlich zu machen. Und dem wollen wir in den nächsten Minuten in 10 Kapiteln etwas nachspüren.

1. Der Mensch


Man muss ihn einfach mögen...
Stets freundlich, hilfsbereit, unaufgeregt, bescheiden, zuweilen sparsam mit Worten, ein wacher, analytischer Blick, penibel bei dem was er tut, Kompetenz bis in die schütteren Haarspitzen. Ihm liegt seine Heimat sehr am Herzen und darüber hinaus nimmt Hellmut G. Bomm das Leben, wie es kommt: Ohne Sentimentalitäten, ohne überkandidelten Anspruch trotz hohem Können und immer ein spitzbübisches Lächeln in der Hinterhand. Einen wie ihn hätte man gern zum Nachbarn und über und mit solch einem Menschen spricht man gerne - und zwar mit aller Hochachtung.


2. Backnang

Hellmut G. Bomm, der mit Ausnahme weniger Jahre stets in Backnang gelebt und gearbeitet hat, hat diese Ausstellung im Sinne einer Werkschau sehr sorgfältig und bewusst zusammengestellt und zeigt viele Aspekte seines bisherigen Schaffens. Nirgendwo sonst hat man zuvor ein derartiges ästhetisches Volksfest in Sachen Bommscher Grafik und Typografien feiern können - angereichert mit dem gerade erschienenen Buch mit dem beziehungsreichen Titel »Backnang - meine Stadt«. Und wenn ich Buch sage, dann meine ich eher »Liebesbekenntnis« an »seine« Stadt, deren Physiognomie der Orte und wechselvolle Geschichte ihn besonders interessieren und faszinieren. Der jeweilige gezeigte Ort vermittelt Stimmungen und weckt Gefühle und erhält so auf einmal Wesenszüge. Es ist eine innige Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum der »gebauten lokalen Lebenswelten«. Und es gelingt ihm, den jeweiligen genius loci zu fokussieren - sei es über die geschichtliche Bedeutung eines an einem Ort erscheinenden »Zeitgeistes« und eines soziokulturell konstruierten »Ortsgeistes«, oder aber über die Bedeutungen von ästhetischen und synästhetischen Qualitäten der dargestellten Orte. Bomm versucht hier im oberen Bereich dieser Ausstellung die teilweise verborgenen Strukturen Backnangs aufzudecken und »die Physiognomie einer unbekannten Schönen« - um mit Oskar Kreibich zu sprechen - sichtbar zu machen.

Die Stadtansichten, wie sie hier oben angeboten werden, verweisen alle auf eine subtile Beschäftigung mit dem jeweiligen Ort. Und es beruht ganz auf der Bommschen Leistung, dass die scheinbare Mühelosigkeit der Blätter nicht vermuten lässt, welch »schwere Forschung« - im Sinne des Geburtsprozesses der künstlerischen oder grafischen Position - sich »hinter deren lieblicher Hülle« verbirgt. Die Bildwelten der Grafiken werden unweigerlich zu Stimmungsträgern eines unterschiedlich agierenden Kolorits, differenzierter Techniken und sehr verschiedener (vom groben bis zum feinsten Strich führenden) Darstellungsweisen, gleichsam als ob sich in ihnen das einstige Befinden des Künstlers im Moment der Komposition verankert.

Dabei spielt es keinerlei Rolle, dass diese Grafiken, die sich (bis auf wenige zusätzliche) alle auch in dem Büchlein wieder finden und dem historischen Stadtrundgang folgen, zu großen Teilen Computerdrucke sind. In Digital Fine Art Printing mit einer Lichtechtheit von 75 Jahren gedruckt, handsigniert, nummeriert und mit dem heutigen Datum versehen sind diese großen Drucke, wie auch die kleinformatigeren, in einer Mappe erwerbbaren Drucke Originale wie jeder Siebdruck, wo die einzelnen Drucke stets kleinste Abweichungen von einander aufweisen. Keine Frage: egal, welcher Technik sich Bomm bedient hat (ob ältere Federzeichnung, Siebdruck oder aktuelle Computergrafik), alle Blätter sind als Bomms erkennbar und besitzen dessen einzigartigen Ausdruck einer weichen, poetischen Stimmung und besonderen Ästhetik, selbst wenn der Grafiker selbstkritisch darauf hinweist, dass - über alle Blätter betrachtet - diesen die Durchgängigkeit fehlt. Angesichts der unterschiedlichen Techniken muss dies so sein und macht schlussendlich auch den Reiz dieser Ausstellung aus.

Es gelingt ihm jedenfalls, am Nerv der Stadt zu rühren, diesen freizulegen und die bauliche Einzigartigkeit von Backnang herauszuarbeiten. Und er steht im übrigen zur Subjektivität seiner Auswahl, die sich zentrifugal orientiert und deshalb vorrangig die Kernstadt zum Thema hat. Mit seiner Betonung der inneren Qualitäten erteilt er damit auch eine Absage an eine Fokussierung der Außenkräfte, der Bauten jenseits der Kernstadt - auch wenn man bedauern mag, dass beispielsweise die Spinnerei keine Berücksichtigung gefunden hat.
Seine baukulturelle Aussage ist darüber hinaus zwar sehr geschichtsorientiert zu verstehen, aber er widersteht der Versuchung, unsere Stadt ausschließlich konservierend und bewahrend zu sehen, denn eine solche Denke führt unweigerlich dazu, dass Stadt selbst zur Konserve wird. Freitreppe beim Markgrafenhof, die Ericsson- und Telent-Gebäude, der Biegel werden als Motive aufgegriffen und selbstverständlicher Teil seiner Stadtsicht - wenn auch manchmal mit kritischem Unterton, aber dazu später mehr. Denn hohe Identität mit »seiner« Stadt bedeutet, dass Bomm durchaus zuweilen an den Entwicklungen unserer Stadt leidet...


3. Der Mentor

Das Bommsche Schaffen in Grafik und Buch steht mit seiner Leidenschaft für Backnang ganz in der Tradition seines Mentors - und der hieß Oskar Kreibich, der -- wie Sie wissen - noch immer im Rathaus mit einer Gedächtnisausstellung zu seinem 90. Geburtstag geehrt wird. Kreibich kam nach dem Krieg 1946 als Heimatvertriebener nach Backnang und war hier bis zu seinem Tod 1984 als freischaffender Künstler tätig (mit Atelier im Schweizer-Bau). Er war sicher einer der prominentesten Künstler, die je in Backnang gelebt haben, und er hat ein umfangreiches und hoch geschätztes, universelles Lebenswerk hinterlassen, das Gemälde, Grafiken und Illustrationen sowie bildhauerische und literarische Arbeiten umfasst. Er war Backnang nicht nur liebevoll verbunden, sondern geradezu von dieser Stadt infiziert, - Stadtturm, Rathaus und Stiftskirche müssen ihn schier erschlagen und zur dauerhaften Auseinandersetzung gereizt haben. Und mit seinem künstlerischen Auge hat er in der Stadt wohl mehr gesehen, als jeder Einheimische (und hier verweise ich gerne auch auf seine Bücher »Backnang - vorwiegend heiter« und »Backnang - ein Wintermärchen«).

Kreibich empfand unsere Stadt als verehrungswürdig und schön und bekannte sich freimütig zu ihr. Und ich weiß, dass dies auch für Hellmut G. Bomm gilt, der Kreibich noch bei seiner letzten Ausstellung unterstützte. Kreibich und Bomm waren einander sehr freundschaftlich verbunden und die gegenseitige Zusammenarbeit haben beide als befruchtend gesehen. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass Kreibich einmal mit einem Bild nicht weiterkam und Bomm aufforderte: »Nimm Du den Pinsel und bring' Farbe ins Bild!« In seinem letzten Lebensjahr brachte Kreibich Bomm seine Unterschrift in mehreren Größen vorbei, mit dem Hinweis: »Hellmut, die kannst Du sicher mal gebrauchen«.
Das vorliegende kleine Backnang-Buch setzt die Kreibich-Buchreihe - sicherlich mit einem anderen, nämlich grafisch orientierten Anspruch - fort, ohne dem Versuch zu unterliegen, kopieren zu wollen. Und es steht natürlich in der Tradition seines 1987 selbst publizierten Buches »Backana«, das Bundespräsident Köhler bei dessen diesjährigem Besuch überreicht wurde. Nicht erst mit seinen heutigen Arbeiten hat sich Bomm längst zum erfolgreichsten Public-Relations-Mann für Backnang gemausert.

Und es war der Verdienst von Marlies Weller, ihres Zeichen Buchhändlerin bei Kreutzmann, die den Gedanken, ein Buch aufzulegen, immer wieder penetrierte, wurde sie doch einmal von Bomms Vater gefragt, was sie eigentlich den frisch zugezogenen Neu-Backnangern, die etwas über ihre Stadt wissen möchten, anzubieten habe. Sie antwortete wohl mit »Ihr Straßenbüchle« (also von Bomm-Vater). Augenscheinlich gibt es darüber hinaus noch immer eine erhebliche Nachfrage nach einem handlichen Büchlein mit knappen Informationen und außergewöhnlicher Grafik. Und diese Lücke sollte mit dem aktuellen Buch von Hellmut G. Bomm (Sohn) geschlossen werden. Schlussendlich brach sie seinen Widerstand, veranlasste ihn Vorhandenes aus den Schubladen herauszuziehen, Neues zu erarbeiten, erklärende Texte zu verfassen, auszuwählen, zu systematisieren und dem Ganzen eine Richtung zu geben. Herausgekommen ist ein perfekter Begleiter durch unsere Stadt, eine Hommage an Geschichte, Landschaft, Architektur und Städtebau unseres liebenswerten, lebendigen Gemeinwesens.


4. Exkurs: Die Bauchweh-Stadt

Wer zum ersten Mal mit dem Auto nach Stuttgart kommt, also beispielsweise vom hoch thronenden Stadtteil Degerloch die Neue Weinsteige hinabkurvt, dem erschließt sich augenblicklich die Sinnfälligkeit eines alten Werbe-Spruchs: »Stuttgart - Großstadt zwischen Wald und Reben«. Rechts der Straße Weinstöcke, zum Greifen nah. Links unten in der Talmulde die Stadt. Rundum grožes Landschafts-Theater, Hügelketten, Grün in allen Schattierungen.
Wenn aber der Besucher ein paar Tage spüter die Stadt verlässt, viele Bilder und Gespräche im Kopf sowie reichlich Kilometer in den Beinen, wird auch ein anderes Bonmot sinnfällig geworden sein: »Stuttgart - Großstadt zwischen Hängen und Würgen«. Stuttgart und sein Selbstwertgefühl: Die Vergangenheit bietet wenig; die Zukunft ist umstritten, aber in der Gegenwart lässt sich's ganz gut leben...
Wie aber steht es um das Selbstwertgefühl von Backnang, der so genannten Murrmetropole? Nun, die Vergangenheit, und das zeigt Bomm mit seinem Buch dezidiert auf, bietet viel. Und die Gegenwart hält große Lebensqualität bereit - trotz mancher Unkenrufe.

Und die Zukunft?
Bomm lehnt mit dem Umschlagtext eine Selbstdarstellung in Großbuchstaben ab - wahrscheinlich schreibt man deshalb das Wort »Metropole« weitestgehend in Kleinbuchstaben. Und er wünscht sich eine Zukunft mit mehr Mut, das Besondere Backnangs zu erkennen und zu entwickeln. Und dem kann ich nichts hinzufügen.

5. Die Treppe


Vielleicht meint er just den Mut, den unsere Stadtväter mit dem - wie ich finde - weisen Entschluss für die Außentreppe am Turmschulhaus hatten, deren Aufstellung ich - ob des blanken, frischen Cortenstahls - mit großem Unbehagen verfolgt habe. Allerdings gehöre ich zu jenen Backnangern, die sich - wegen des anhaltenden Patinisierungsprozesses - heute an diesem Bauwerk erfreuen können. Denn der warme Rost-Ton und die architektonischen Gegensätze an diesem Standort versinnbildlichen für mich den Gedanken der ständigen Veränderung des komplexen Lebens.
Mehr im Sinne eines Gimmicks, also einer interessanten, attraktiven Zugabe, nimmt sich Bomm diesem Backnanger Wahrzeichen an und zeigt hier oben unbearbeitete, unverfälschte Digitalkamerabilder, Ausschnitte des stählernen Segels mit einer hohen ästhetischen Qualität - Farbnuancen, die sich nur dem erschließen, der intensiv zu schauen in der Lage ist - Form- und Farbspiele auf Rost. Bomm betitelt - als expliziter Befürworter unseres stählernen Monumentes - seine Serie mit »Narrentreppe« und bildet damit das »närrische Theater« um dieses prägende Bauwerk in den ersten Jahren ab.

6. Schauen


Oskar Kreibich hatte so seine Probleme mit dem Umfeld von Backnang und dem künstlerischen Gehalt dieser Landschaften. Bomm zitiert ihn mit der Aussage: »Da stehen eh überall nur Apfelbäume«.
Es war wohl der 1924 geborene Sohn Reinhold Nägeles und seiner Ehefrau, Thomas, der bereits als 14-Jähriger ins Exil nach Amerika geschickt wurde, der Bomm dazu fährte, eine andere Sichtweise zu entwickeln. In New York fand der gebärtige Stuttgarter mit seinen Eltern eine neue Heimat. Hier bildete er sich zum Grafikdesigner aus und war als Lehrer an einer Kunstschule bis 1993 tätig. Thomas Naegele kehrt regelmäßig in den Ferienort seiner Kindheit, nach Murrhardt, zurück und hält auf realistisch-abstrahierten Bildern von heiterer Farbigkeit die teilweise schon verschwindende Kleinstadtidylle fest.
Den sporadischen, lange Zeit auch jährlichen Besuchen Nägeles in der Siebdruckwerkstatt der Bomms und in Freundschaft mündenden und sich zeitweise in Zusammenarbeit darstellenden Kontakten verdankt Bomm eine Sichtweise, dass eben künstlerisch doch etwas mit den Apfelbäumen unserer Landschaft anzufangen ist. »Der sieht Dinge, da schnallt man ab« reagiert Bomm auf diese besondere Art des Sehen-Könnens Nägeles, an der er sich fortan erfolgreich selbst übte - eine Fähigkeit, die unlängst sogar den Fotografen der BKZ beeindruckte. Und im hinteren Bereich dieser Schalterhalle sind die Ergebnisse dieses vertieften Hinschauens als Siebdrucke der uns umgebenden Landschaften zu sehen. Vielleicht keine spektakulären Bilder, aber stille, poesievolle und atmosphärisch dichte, subjektive Zustandsbeschreibungen.


An jedem Bild, das zunächst einen realen Natureindruck wiedergibt, hat einerseits unser kulturelles Verständnis vom Einklang und dem Widerspruch zwischen Mensch und Natur mitgewirkt; vor allem aber ist dieses Naturbild von der inneren Befindlichkeit des Künstlers geprägt: von der schlichten Freude an der Schönheit von Landschaft und Gebautem, vom Nachdenken über die Vergänglichkeit, noch mehr aber vom Vertrauen auf das Glück des Schauens.

7. Schriften


Der gelernte Chemielaborant Hellmut G. Bomm entdeckte wenige Monate nach Antritt seiner ersten Arbeitsstelle, dass es ihn nie erfüllen würde, sein Leben lang Salpetersäure produzieren zu müssen. Dieses Schockerlebnis verlieh ihm Flügel und so begann er ein Studium an der Freien Kunstschule Stuttgart und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, wo wohl auch das Interesse für Typographie geweckt wurde. Und wer Bomm kennt, weiß auch um dessen strahlende Gesichtszüge wann immer man mit ihm über Schriften philosophiert. Wen mag es deshalb verwundern, dass er im Untergeschoss in 2 thematischen Blöcken Schriften thematisiert. Ein Themenfeld, das ihm persönlich überaus wichtig ist und das ihm - nebenbei notiert - stattliche Erfolge und überregionales Renommee u. a. bei Linotype eingebracht hat.


Typografie bedeutet im engeren Sinne das Gestalten mit reproduzierbarer Schrift. Genauso zählt klassischerweise das Gestalten von Schrift zur Typografie. Natürlich begegnet uns unter den graphischen Schriftgebilden auch jene Schrift, in der sein kleiner Backnang-Führer gedruckt wurde - natürlich auch eine Eigenentwicklung.


Sicherlich kann man fragen, warum neue Schrifttypen überhaupt entwickelt werden müssen. Ich für mich würde diese Frage immer unter dem Blickpunkt der Gebrauchsqualität, also der Optimierung der Lesequalität, beantworten - weniger würde ich dazu neigen, die formale Qualität, also den Aspekt der ästhetischen Befriedigung, in meine Antwort einzubetten. Und so fasst es wohl auch Hellmut G. Bomm auf, der in seinem Büchlein explizit die Hoffnung ausspricht, dass diese neue Schrift auch gut gelesen werden könne. Gleichwohl sollten wir uns bewusst machen, dass bei allen neuen Schriftentwicklungen jeder Buchstabe zunächst einmal mit der Hand gezeichnet werden muss, ehe man ihn im Rechner digitalisieren kann. Der Entwurf ist ein analoger Vorgang, die Verarbeitung ist ein digitaler.


Eher in die künstlerische Gestaltung geht der zweite Schwerpunkt, wo uns unten Fotos aus der Küblerschen Schmiede begegnen, die alle durch Bommsche Schriften angereichert und überlagert wurden und als Collagen einen sehr eigenwilligen Charme ausstrahlen. Ganz spannend sind die bunten Titel, die er seinen Grafiken gegeben hat - so begegnen wir der »Frakturtapete«, »Leiterkobolden«, dem «Hexen-Einmaleins« und dem »Zauberlehrling« - alles Momentaufnahmen des versponnenen Ambientes vor der Renovierung der Schmiede.


8. Meister der klaren Form


Gegenständliches ist für Bomm Quelle und Anlass zu ästhetischer Reflexion, die sich besonders in den freien Grafiken mit ihrem stark regionalen Bezug niederschlägt. Und daneben stehen jene Grafiken, die man vielleicht eher als Gebrauchsgrafiken definieren mag, also von der Drucksachen- und Schilder-Gestaltung über die Gestaltung von Gemeindewappen und Familien-Heraldik bis hin zum Design von Firmenauftritten, die aber alle heute Abend nicht gezeigt werden, aber zum Teil unübersehbares Dekor unserer Stadt sind.


Bomm bekennt, als Designer von einem der bedeutendsten Gestalter der Nachkriegszeit inspiriert worden zu sein, der für ihn zu einem gewissen Maßstab geworden ist, den er aber nie persönlich kennen lernen durfte. Und es ist keine Wissenslücke, mit dessen Namen nicht direkt etwas anfangen zu können, denn im Gegensatz zu Malern oder Bildhauern sind große Designer (vielleicht bis auf Luigi Colani) zumeist namenlos und in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Auch ich musste im Sommerurlaub ein Büchlein (»Die Welt als Entwurf«) dieses genialen Designers studieren um die Bommsche Begeisterung nachvollziehen zu können. Die Rede ist von Otl Aicher, der u.a. das Corporate Design der Olympischen Spiele 1972 in München entwickelte, die auch durch ihn zu »fröhlichen Spielen« wurden. Und er schuf Erscheinungsbilder für Braun, die Lufthansa, ERCO, das ZDF und andere namhafte Firmen, die bis heute teilweise unveränderte Auftritte besitzen.


Er war in seiner Stringenz und seinem vernetzten Denken Wegbereiter der Idee von Corporate Identities. Und er entwarf mit der Rotis eine heiß diskutierte Schrift, die heute aus Firmenauftritten und Geschäftsberichten nicht mehr wegzudenken ist.
Aus seinen Aufsätzen wird aber auch deutlich, dass Aicher bekennender Gegner der Bauhausbewegung war, der er eine Überbetonung der Künste - und damit eine gewisse Vergeistlichung, einen Hang zum Irrationalen, Nicht-Gebrauchsfähigen und ein Verharren an geometrischen Stilen, die sich wahlweise aus den Elementen Quadrat, Dreieck und Kreis oder Kuben, Zylindern oder Pyramiden ergeben - vorwarf.


Und damit berüührt er auch eine vermeintliche Diaspora, der sich Hellmut G. Bomm ausgesetzt sieht: steht bei ihm der »Künstler« im Vordergrund, oder versteht er sich vornehmlich als »Designer« mit anderem Anspruch. »Ein Designer ist wie ein Maler, der statt zu malen rechnet und misst, er ist wie ein Ingenieur, der statt zu konstruieren Proportionen sucht, er ist wie ein Kaufmann, der statt am Absatz an der Perfektion und der Nützlichkeit interessiert ist, und er ist wie ein Bildhauer, der statt nach Formen nach Konstruktionen und technischer Intelligenz sucht«, schreibt Aicher selbst.
Zwischen Kunst und Design gibt es eine Unvereinbarkeit. Denn Kunst kann sich damit erschöpfen, eine Sache schön zu machen. Design verlangt neben dem Schönen auch noch nach dem Aspekt der Richtigkeit.


- Nichts war Aicher so sehr verhasst wie Stühle im Bauhausstil, zugeschnitten
nach dem Schnittmusterbogen von Kreis, Dreieck und Quadrat, auf dem man
aber nicht mehr bequem sitzen kann - falsch!
- Möbel werden immer öfter als Kunstwerke zurechtgestutzt, haben aber
keinen Gebrauchswert mehr - falsch!
- Häuser werden auf Quadrate und Dreiecke heruntergeschnipselt und mit
einem Flachdach versehen, nur um einen Quader zu erzeugen, aber an den
menschlichen Bedürfnissen gehen diese Schemata vorbei - falsch!
- Inzwischen ist ein Besteck erfunden worden, das wahnsinnig stylisch
aussieht, mit dem es aber nicht mehr gelingt, sich Nahrung zuzuführen - falsch!


Ein Stuhl zum Sitzen scheint zu trivial, das Haus zum Wohnen zu belanglos und das Besteck zum Essen zu vordergründig geworden zu sein. Alles ist auf das Höhere der Kunst ausgerichtet, hat reinen Symbolcharakter und kaum noch Gebrauchswert ... und führt damit über die Vernunft hinaus.

Design dagegen wird gemessen an der Sache, ihrem Sinn, ihrer sozialen Verträglichkeit, an ihrem technischen Funktionieren und an ihrer vernünftigen Ökonomie. Unter der Voraussetzung einer Autonomie des Machens, jener Freiheit, die wie Höhenluft wirkt, lässt sich aus grafischen Projekten eine eigene Sicherheit und eigenes Vertrauen gewinnen, die als elementare Voraussetzungen des Könnens gesehen werden können. Und ich weiß, wie sehr sich Bomm - in der Abgrenzung zum Künstler - als Grafiker versteht und wie hoch er eben die spezifischen grafischen Fragestellungen einschätzt und wie sehr der Zustand seiner Unabhängigkeit zum Status seines großen Könnens beigetragen hat.


9. Leiden an Backnang

Vielleicht gehört zu dieser Freiheit auch die Freiheit dann Gegenpositionen aufzumachen, wenn er davon überzeugt ist, dass Entscheidungen in dieser Stadt nicht Backnanggemäß gefällt worden sind und beispielsweise am historisch Verbürgten vorbeigehen. Es fällt uns heute recht leicht, sein Leiden an der Krankenhausentscheidung nachzuvollziehen, den Abriss des historischen Bahnhofes und den gesichtslosen Neubau mit ihm zu bedauern oder den Flachdachanbau an das Totenkirchle als Frevel zu qualifizieren. Aber auch die Biegel-Bebauung, die sich vermeintlich ausschließlich für Stadtplaner harmonisch in den altstädtischen Kontext einfügt, das falsche Sanierungskonzept für unseren Stadtturm sowie die optische »Verfachwerkung« unserer Altstadt, deren Häuser historisch weitgehend lediglich Funktions- aber selten Sichtfachwerke besaßen, geraten in seinen Fokus und lassen ihn leiden. Und es tut ein wenig weh, dieses gerade am heutigen Welttag der geistigen Gesundheit konstatieren zu müssen.


Ich weiß aber, dass er sich adäquaten Neuinterpretationen städtischer Orte keinesfalls verschließt, wofür die Außentreppe beim Turmschulhaus, Markgrafenhof sowie die Stiftshofneugestaltung deutliche Belege liefern. Aber wo - entgegen besserer Kenntnis - das historische Mark der Stadt verletzt wird, entsteht Betroffenheit, die ihn nicht ruhen lässt und die letztlich doch nur von der großen Identifikation mit seiner Heimatstadt zeugt. Und für diese liefert diese Ausstellung wahrlich genügend Anhaltspunkte - ich hoffe, Sie werden sich aufmerksam den Bereich rund um den Pfeiler im Eingangsbereich ansehen wo er Variationen zum Stadtturm anbietet und mit harscher Kritik - auch wenn Sie als Zitat aus der Feder von Georg Christoph Lichtenberg kommt - nicht spart. Balken müssen wahrlich nicht immer braun angepinselt werden, wenn sie in diesem Falle überhaupt sichtbar zu belassen waren...


10. Offene Stadtkultur


Die Ausstellung reiht sich ein in eine Zeitströmung, in der die deutsche Grafik - mit ihrer Beispiel gebenden historischen Entwicklung und den aktuellen Bahn brechenden technischen Erfindungen - gegenüber der Malerei und der Bildhauerei deutlich an Gewicht gewinnt und sich zunehmend als gleichberechtigtes künstlerisches Medium exponiert. In der noch jungen und wenig etablierten Computergrafik verbinden sich einerseits Gebrauchskunst und freie Grafik als Teil einer globalen visuellen Kultur, andererseits entstehen individuelle digitale Bildfindungen, die mit aufwändigen Plottersystemen nur als Unikat - mindestens aber in ganz geringen Auflagen - gedruckt werden. Trotz umwälzender Erneuerungen im Druckbereich zeigt die Geschichte der Druckgraphik, dass auch in Zukunft die handwerklichen Techniken für Designer als Handwerkszeug aktuell bleiben werden.
Jenseits des tiefen und durchaus leidenschaftlichen Backnangbezugs, der jeden Liebhaber dieser Stadt mit der Zunge schnalzen lässt, ist die Bandbreite der grafischen Techniken das eigentlich Spannende an dieser Ausstellung von Hellmut G. Bomm.


Am Ende meiner Rede bin ich nun doch etwas unschlüssig, ob ich die selbst gewählte Diktion einer Explanatio, also einer wertfreien Erklärung von Hintergründen und Beweggründen, getroffen habe, oder ob daraus doch eine Laudatio geworden ist - dies stelle ich allein Ihrer geschätzten Beurteilung anheim. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen, den Besuchern, die nötige Muße für vertiefte Augenerlebnisse wünschen und Hellmut G. Bomm Resonanz und Erfolg. Denken Sie, werte Gäste, immer daran: das höchste Lob für jeden Ausstellenden sind nicht große Worte, sondern das begeisterte Interesse der Betrachter. Und natürlich sind alle Blätter auch für Sie erwerbbar.


Die Ausstellung ist für mich ein wesentlicher Beitrag zu einer offenen Stadtkultur, die sich auch als offene Gesprächskultur darstellen soll. Und genau dies erhoffe ich mir von dem heutigen Abend: haben Sie Freude beim Betrachten der vielfältigen Blätter und führen Sie gute Gespräche hier im Hause der Kreissparkasse, die ich zu dieser Ausstellung beglückwünsche und von der ich sicher bin, dass sie sich regen Besucherinteresses erfreuen wird. Mit der BKZ bin ich davon überzeugt, dass die Besucher hier und in dem Büchlein das »wirkliche Backnang« erkennen werden - »ihr« Backnang.


Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit!